DAS LICHT IM KASTEN - STRAßE? STADT? NICHT MIT MIR!
von Elfriede Jelinek
Konsum macht nicht glücklich – und unsterblich schon gar nicht. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir davon lassen können. Wenn Elfriede Jelinek über das Phänomen Mode schreibt, dann schreibt sie über Faszination und Abscheu zugleich. Heraus kommt ein durchaus heiterer Text, eine verschrobene Liebeserklärung und auch bitterböse Abrechnung: mit den menschenunwürdigen Produktionsbedingungen, der absurden Preispolitik und der Diskrepanz zwischen dem, was wir darstellen und dem, was wir sind – sprich dem, was die teuren Stoffe verdecken sollen. Schließlich wäre man so gerne etwas besonderes oder zumindest nicht so wie die anderen Leute. Denn die sind ja alle furchtbar! Auf die Glücksgefühle beim Kauf(Rausch) folgt die Ernüchterung beim Blick in den heimischen Spiegel, der dummerweise nie lügt. Wer ist die oder der Schönste im ganzen Land? Leider nicht das eigene Abbild, sondern immer das der Person im Kasten, also die leuchtende Reklame, die Dinge verspricht, die sie nicht halten kann. Deshalb ist Kränkung vorprogrammiert. Zum Glück ist das bei Jelinek gleichzeitig komisch und tragisch. Ohne ihren Humor, der oft verzweifelt und ziemlich schwarz ist, wäre es nicht auszuhalten. Denn die Mode dient der Literaturnobelpreisträgerin auch als Metapher für eine ernste, eine todernste Sache: die eigene Vergänglichkeit.
Theater Konstanz, Stadttheater
Premiere: 21. Januar 2022
Regie: Susanne Schmelcher
Bühne und Kostüm: Marion Hauer
Dramaturgie: Romana Lautner
Mit: Hanna Eichel, Maëlle Giovanetti und Dominik Puhl
Fotos: Ilja Mess
"Susanne Schmelchers Inszenierung haucht der pointierten, manchmal auch sperrigen, durchkomponierten Abrechnung mit der Mode und dem, was wir damit verbinden, Leben ein. Dabei entsteht ein in sich stimmiges Gesamtkunstwerk, das mehr und mehr den Charakter einer lebendigen, wilden Installation gewinnt. (…) Die Darsteller:innen Hanna Eichel, Maëlle Giovanetti und Dominik Puhl gewähren uns gezielte Einblicke in Schaufenster, Schönheitskliniken und Kleiderschränke. Alles muss schnell gehen. Die Innenräume des Mittelteils werden in Windeseile umgebaut, umdekoriert und neu bestückt, die Spieler:innen wechseln ihre Kostüme so oft, wie man es laut Jelinek besser nicht machen sollte. Zu Techno-Beats präsentieren sie sich im unförmigen, untragbaren «Laufsteg-Look», in der Jacke als Hose oder im Pappkarton, und werfen sich in überzeichnete Posen. Live gefilmte und auf das Drehteil projizierte Handkamera-Aufnahmen (Marie Luise Schönfeld) verleihen der Szenerie den surrealen Touch eines Panoptikums. (...) Mit grosser Wandelbarkeit führt das Ensemble an diesen Kern des Jelinekschen Texts heran und stellt immer wieder die Frage nach der eigenen Identität: Wenn uns Mode nicht zu besseren Menschen macht, was ist es dann?"
Franziska Spanner / Kulturmagazin Saiten St.Gallen / 24.01.2022
"In Konstanz dagegen, wo Susanne Schmelcher Regie führt, ist nach wenigen Minuten klar: Dieser Abend will Theater werden! (...) Hanna Eichel, Maëlle Giovanetti und Dominik Puhl tun, was ihr Beruf ist, Kostüme wechseln, Posen ausprobieren, Rollen spielen. Doch statt einer Requisitenkammer kämpfen sie sich dabei durch ein ganzes Karussell von Umkleidekabinen (Bühne: Marion Hauer). (…) Indem das Trio aus Jelineks Material Dialoge, Slapsticks und Pointen kreiert, bringt es die Sprache zum Leuchten. Vermeintlich beiläufige Sätze (…) schlagen ein wie Blitze."
Johannes Bruggaier / Südkurier / 24.01.2022
"In Konstanz lässt Regisseurin Susanne Schmelcher zwei Schauspielerinnen und einen Schauspieler einen Totentanz aufführen. (…) Die drei zelebrieren in eindreiviertel Stunden die Dekonstruktion des Modezirkus‘, erkenntnisreich und unterhaltsam. Sie karikieren Catwalks, machen sich über das modemuffelige Publikum lustig („das wird mit Jeans und Pulli nicht funktionieren“), schlüpfen in Dutzende Kostüme und Perücken, zitieren Kant und Heidegger, kämpfen um Handtaschen, suchen nach dem passenden rock und meinen den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, ja des Ichs überhaupt. (…) Susanne Schmelcher lässt die drei diesen Totentanz immer wilder und irrer drehen, bis nichts mehr bleibt als Zerfall, Tod , das Ende. Das Karussell ist ausgeräumt und abgeräumt. Dass nackte Metallgerippe dreht sich im fahlen Licht gegen den Uhrzeigersinn – die Zeit lässt sich nicht aufhalten."
Julia Nehmiz / St. Galler Tagblatt / 24.01.2022
"Das beweist auch Susanne Schmelcher mit einer Inszenierung, die nicht mit Assoziationshilfen arbeitet, sondern mit einem lebendigen Agieren ihres Trios, das die Sätze unaufgesetzt hinausschleudert und die Manieriertheit umgeht, die in jedem Absatz lauert. (…) Weil Hanna Eichel, Maëlle Giovanetti und Dominik Puhl immer wieder spontan aus ihren Aufsager- und Einsagerrollen aussteigen und als Menschen aus Fleisch und Blut vor uns stehen und somit auch das Spiel selbst thematisieren. (…) Die Conclusio ist somit nicht neu, der Weg dorthin ist aber ein spannender, farbenreicher Theaterabend."
Christa Dietrich / Vorarlberger Nachrichten / 27.01.2022